Berliner Morgenpost - 23.03.1996
Unter kurzem Haar schlummert der Dämon

Genesis P. Orridge im ausverkauften Cafe Zapata
Von Frank König Auf älteren Fotografien erscheint er noch wie ein dämonisches Wesen mit seinen langen, schwarzen Rastalocken. Mit einer eher durchschnittlichen Kurzhaarfrisur und seinem Herrenanzug stand Genesis P. Orridge, der britische Avantgarde-Schreck der achtziger Jahre, gestern auf der kleinen Tacheles-Bühne im Cafe Zapata, das so ausverkauft war, daß für den nächsten Tag eine Zusatzveranstaltung mit Orridge angesagt wurde. Seit vier Jahren ist Orridge - Allround-Künstler, Musiker und Literat - zum ersten Mal wieder auf Europatournee. Der seit 1992 in den USA lebende Initiator der sogenannten Industrial-Musik wurde durch zahllose Kunstaktionen um das Thema Rituelle Bewußtseinserweiterung sowie mit seinen Musikprojekten Throbbing Gristle und Psychic TV bekannt. Mit Psychic TV war er zuletzt 1989 im Berliner Loft zu Gast. Diesmal stand ihm seine Performance-Partnerin Julie Wilson zur Seite. Auf der Leinwand im Bühnenhintergrund flimmerte ein Kunstvideo mit Momentaufnahmen von früheren Performences. Die neuesten Soundschleifen von Orridge mit dem Titel "Thee Fractured Garden" kamen vom Tonband. Ein Mix aus psychedelischen Klangstrukturen, Siebziger-Jahre-Disco und Techno-Industrial-Beats bildete die Klangbasis zur Wortperformance, zu der sich beide Darsteller im Verlauf des Abends entkleideten. Unter seinem Anzug kam der schräge Orridge, mit Büstenhalter bekleidet, zum Vorschein. Etwas zahmer, aber immer noch mit großem Charisma umgeben, beendet Genesis P. Orridge nach knapp einer Stunde seine Traumperformance.
Berliner Morgenpost 27.3.96
Der Meister der schrillen Bilder und grellen Töne

Vor vier Jahren geriet er als Enfant terrible der britischen Kulturszene gleich mehrfach unter Beschuß. Genesis P. Orridge wurde von selten des Staates als unerwünschte Person abgestempelt, und etliche Medien hefteten ihm das Image eines Satanisten an. Der Irrtum beruhte auf einer Sendereihe innerhalb des britischen Fernsehens. Dort ging Anfang 1992 eine Dokumentation zu rituellem Kindesmißbrauch über den Bildschirm. Mittelpunkt der Sendung war ein Film, der angeblich "Folter und Vergewaltigung" durch Satanisten zeigte. Journalisten deckten schließlich auf, daß es sich vielmehr um eine Kunstperformance von Genesis P. Orridge handelte. Zu jener Zeit war Orridge mit seiner Familie im Ausland. Ihm wurde letztlich die Wiedereinreise nach England unmöglich gemacht. Er emigrierte draufhin nach Kalifornien. In den 60er Jahren arbeitete er mit der Post-Fluxus-Gruppe "The Exploding Galaxy" um Derek Jarman zusammen. Mit seiner Band Throbbing Gristle prägte und formulierte er als erster den Ausdruck "Industrial-Music". Sein psychedelisches Techno-Kollektiv Psychic TV wurde in den 80er Jahren durch etliche Platten und spektakuläre Konzerte bekannt. Orridge steuerte außerdem zu etlichen Filmen die Soundtracks und Drehbücher bei, so etwa zu "Wild Palms" (1993) von Oliver Stone. Zum ersten Mal seit seinem Exil 1992 ist Genesis P. Orridge wieder auf Europa-Tour, diesmal unterstützt von seiner Mitstreiterin Julie Wilson. Im Tacheles wird Orridge am kommenden Montag eine kombinierte Musik-, Literatur- und Kunstperformance zelebrieren. DJ Tanith steuert Interpretationen der Musik von Orridge bei. Ebenfalls werden erstmalig öffentlich 16-mm-Filme von Derek Jarman vorgeführt, die am und im Haus des großen Surrealisten Salvador Dali entstanden. Beginn der Show: 22 Uhr, F. K.

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